„What a drag it is getting old.“
(Rolling Stones/Mothers Little Helper)
„Wären sie heute wegen gesundheitlicher Einschränkungen voll erwerbsgemindert, bekämen sie von uns eine monatliche Rente von 99,07 EUR.“, stand in dem Brief den Kurt gerade las. Mehr würde es wohl auch nicht werden. Irgendetwas musste wohl geschehen. Aber erstmal musste er seine Tochter zu ihrer Mutter bringen. Es war Sonntag und er wollte ausgehen.
Sie schauten gemeinsam nach, ob er sie etwas vergessen hatten. Nein, gottseidank es war alles da. „Können wir?“ „Gleich.“ Sie musste sich noch die Haare flechten. Er seufzte auf, und las noch etwas Zeitung. Bald konnten sie dann wirklich gehen.
Die Autofahrt verlief ruhig und schweigend. Auch bei der Übergabe gab es keine Dramen. Alles war gut eingespielt. Es gab nichts zu besprechen. Seine Exfrau wünschte ihm noch viel Spass. Er dankte ihr, und gab seiner Tochter noch ein Küsschen auf die Wange.
Die Nacht war klar und warm. Er freute sich heute eine Verabredung zu haben, aber er war auch etwas nervös. Er kannte Judith schon länger, aber erst in den letzten Wochen hatten die beiden gemerkt, dass sie vieleicht mehr waren als „nur“ Freunde. Zumindest wollten sie heute miteinander ausgehen. Er suchte die Galerie in der sie sich treffen wollten.
Er entdeckte sie gleichzeitig mit Judith. Sie sah wunderschön aus heute Abend. Lässig, aber mit Geschmack gekleidet. Er kam sich etwas underdressed vor. Er hatte keinen Geschmack. Das heißt nicht, dass er geschmacklos gekleidet gewesen wäre, aber er verstand nichts davon und trug immer etwas langweilige Kleidung. Er umarmte Judith und traute sich sogar ein Küsschen auf ihre Wange zu. Im geheimen war er sehr stolz auf sich. „Wollen wir reingehen?“, fragte sie lächelnd. „Warum nicht?“, war seine Antwort.
Innen gab es Installationen mit leeren Flaschen zu sehen, die Kurt an eine Trauerfeier erinnerte. „Nieder mit dem Kapitalismus“ stand mit Zweigen auf eine Wand geschrieben. In einer Ecke stand eine Künstlerin in einem Bärenkostüm. Als Programm gab es einen Chor, der „Der Mond ist aufgegangen“ sang. Es war alles sehr schön. Sie tranken Wein. Plötzlich küssten sie sich.
Hand in Hand gingen sie zu ihr. Er war schon lange nicht mehr Hand in Hand gegangen. Es fühlte sich seltsam an. Er sah sie immer wieder an. Unterwegs kauften sie noch eine Flasche Wein. Sie lächelte. Er atmete tief ein. Dann gingen sie weiter. Im Hausflur küssten sie sich wieder. Es war wie ein Kampf. Ein Spiel, wie es Hundewelpen spielen. Fast hätte sie die Flasche fallen lassen. Sie schloss die Tür auf.
Drinnen tranken sie weiter. Sie versuchten über die Kunst zu reden. Sie drückte ihn gegen die Wand. Es ging weiter. Ihre Hände griffen ineinander. Sie versuchten sich gegenseitig zu Boden zu drücken. Er biss in ihren Hals. Sie stöhnte. Sie landeten auf dem Teppich. Dabei fiel ein Glas Wein um. Sie kümmerten sich nicht darum. Wieder rangen sie. „Offenbar Griechisch-Römischer Stil“, dachte er und musste kurz lachen. Sie lachte mit, obwohl sie gar nicht wusste worum es ging. Sie warf ihn auf den Rücken. Rang ihn nieder. Diesmal biss sie in seinen Hals. Er erschreckte sich kurz über den Schmerz. Dann küsste er sie. Sie zogen sich gegenseitig aus. Sie rollten über den fleckigen, nassen Teppich.
Sie waren unbeholfen, aber enthusiastisch. Sie verschmolzen nicht, aber es war richtig. Sie schmeckten sich, rochen sich, dachten zuviel nach. Ihre Körper lernten. Sie mussten lachen. Es war nicht der Himmel, aber es war das was sie brauchten. Hier und jetzt. Sie drückten sich zu Boden und bissen sich. Er wusste wo er sie zu streicheln hatte. Sie wusste wann sie seinen Hintern schlagen musste. Es war albern, aber schön.
Am Ende lagen sie an die Wand gelehnt. Sie hörten das weiße Album und tranken. Sie flüsterten. „Blackbird“ fing gerade an.